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Hintergrundinformationen zu KZ-Dokumenten

Für die Dokumente, die aus Konzentrationslagern bei den Arolsen Archives überliefert sind, gelten einige Besonderheiten. Aspekte, wie sich widersprechende Informationen, die Gefahr der Verharmlosung und die Tatsache, dass es sich um Dokumente handelt, die zumeist von Täter*innen ausgefüllt wurden, müssen berücksichtigt werden. Die folgende Einleitung geht darüber hinaus auch auf das Formularwesen in den Lagern ein und beantwortet die Fragen, wo die Dokumente hergestellt wurden oder wie sich die zunehmende Papierknappheit während des Krieges auswirkte.

Die meisten der im e-Guide beschriebenen KZ-Dokumente wurden von nationalsozialistischen Täter*innen und anderen an Verschleppung, Ausbeutung und Mord beteiligten Stellen produziert. Die Angaben auf den Karten und Formularen sind also keine Selbstbeschreibungen der auf ihnen genannten Personen. Stattdessen sind die Dokumente an den Logiken der Verfolgung ausgerichtet. Sie enthalten daher oft stereotype Zuschreibungen durch die Täter*innen oder zwängen KZ-Häftlinge in vorgegebene Gruppen und Raster, denen sie sich selbst nicht beziehungsweise nicht unbedingt zugeordnet hätten.

Gerade Dokumente wie die Postkontrollkarte, die Wäschekammerkarte oder die Revierkarte können zudem stark verharmlosend wirken. Die Nüchternheit der Sprache und die darauf gemachten Angaben wirken, als ob der Kontakt zur Außenwelt per Post, die Versorgung mit Kleidung und die medizinische Behandlung in den Konzentrationslagern gesichert gewesen wären. Das stimmte – vor allem ab Beginn des Krieges – allerdings nicht. So wurden zum Beispiel Postkontrollkarten immer angelegt, auch wenn die Häftlinge nicht wussten, wo sich ihre ebenfalls deportierten Verwandten befanden. Und nur weil auf der Wäschekammerkarte angegeben ist, dass der oder die Gefangene Kleidung erhalten hatte, sagt dies nichts über die Qualität der Hosen, Jacken und Schuhe aus. Diese war oft schlecht, die Häftlingskleidung passte nicht und die Häftlinge konnten sie nur sehr selten wechseln. Ein anderes Beispiel sind die Revierkarten: Zwar gab es in den Lagern Krankenbauten, jedoch konnte es eine erhebliche Gefahr darstellen, sich dort zu melden. Dass ein entsprechendes Dokument vorliegt, heißt also ganz und gar nicht, dass die Häftlinge versorgt und ausgestattet waren. Viele der KZ-Dokumente waren in der Vorkriegszeit eingeführt worden und wurden bis Kriegsende weiterverwendet. Die Realität in den Konzentrationslagern passte aber immer weniger zur Ordnung, die diese Karten vorgaben.

Häufig kommt es vor, dass Namen auf verschiedenen Dokumenten unterschiedlich geschrieben sind, obwohl die Dokumente für dieselbe Person ausgestellt wurden. Bei der Aufnahme in den Konzentrationslagern wurden in kurzer Zeit zahlreiche Namen oft nach dem Hörensagen aufgeschrieben. So kam es vor allem – aber nicht nur – bei nichtdeutschen Namen zu zahlreichen Verschreibungen und Schreibvarianten. Für den Nachnamen Abrahamovic sind beispielsweise 849 Schreibweisen überliefert, und selbst für den Vornamen Elisabeth finden sich 268 verschiedene Varianten in den Dokumenten, die in den Arolsen Archives überliefert sind. Auch Geburtsdaten können variieren, nicht zuletzt weil sich Menschen jünger oder älter machten, um so ihre Überlebenschancen im KZ zu erhöhen. Neben den Namen und Geburtsdaten unterscheiden sich nicht selten auch die Angaben zu Aufenthaltsorten und -zeiten auf verschiedenen Dokumenten. Unterschiede gibt es vor allem zwischen Dokumenten, die von Täter*innen während der NS-Zeit ausgefüllt wurden, und den Nachkriegsformularen, die ehemalige Verfolgte selbst auf Veranlassung der Alliierten aus der Erinnerung beantworteten.

Zwei Stempel aus der Nachkriegszeit finden sich auf vielen KZ-Dokumenten in den Arolsen Archives: der I.T.S. Foto- und der Carded-Stempel. Der I.T.S. Foto-Stempel wurde auf Dokumente gestempelt, die Anfang der 1950er Jahre von US-amerikanischen Instanzen fotografiert wurden, um so die Informationen zu sichern. Der Stempel meint daher nicht, wie oft angenommen wird, dass es Fotografien der Person in den Arolsen Archives gibt. Der Carded-Stempel wurde hingegen auf Dokumenten angebracht, die vom ITS für die Zentrale Namenkartei (ZNK) erfasst worden waren. Diese Tätigkeit wurde intern – vom englischen ‚carded‘ abgeleitet – als „Verkarten“ bezeichnet. Beim Verkarten wurden alle Personen, die auf einem Dokument genannt waren, auf einzelne Karteikärtchen übertragen. Auf den Karten wurden der Name der Person und die Signatur des Dokuments notiert. ITS-Mitarbeiter*innen sortierten die Karten dann in die ZNK ein. Wurde nach einer Person gesucht, zog man dort die Karte und wusste so, wo das Dokument mit weiteren Informationen zu finden ist. Bis zur Digitalisierung der ZNK 1998/1999 wurden ca. 50 Millionen Kärtchen angelegt.

Ein weniger eindeutiges Merkmal, das sich aber auch auf vielen Dokumenten aus Konzentrationslagern finden lässt, ist das Durchstreichen der Karte oder des Formulars. Die meist mit rotem Buntstift gemachten Striche können bedeuten, dass ein Häftling im Lager gestorben ist, in ein anderes Lager überstellt oder entlassen worden war. Karten von Häftlingen, die nicht mehr im Lager waren, wurden oft durchgestrichen, damit man die Rückseite weiterverwenden konnte und es dabei zu keinen Verwirrungen auf Grund der beiden Namen kam. Wenn ein Häftling verstorben war, finden sich meistens noch weitere Zeichen auf den Karten: Es kann Stempel oder handschriftliche Vermerke mit dem Todesdatum geben, oder es wurden deutliche Kreuze beziehungsweise Balkenkreuze – mit oder ohne Sterbedatum – auf die Karte gemalt oder gestempelt.

Für die Häftlinge in den Konzentrationslagern wurden zahlreiche Dokumente ausgefüllt, um sie im Lager zu verwalten. Dabei veränderten sich im Laufe der Zeit die Art und die Anzahl der Dokumente. Ab 1933 wurden die Gefangenen mit Häftlingspersonalbögen erfasst, die bis 1942/1943 für alle KZ standardisiert wurden. Für die persönlichen Gegenstände, die sie bei ihrer Ankunft abgeben mussten, wurden Effektenkarten ausgestellt. Hier entsprach das Vorgehen noch weitgehend der Praxis in Gefängnissen vor 1933. Dabei ist zu bedenken, dass in den KZ nicht von Anfang an hunderttausende Menschen eingesperrt waren. Nach zehntausenden Inhaftierungen im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten gingen die Häftlingszahlen rasch stark zurück. Im November 1936 waren in allen damals bestehenden Konzentrationslagern in Deutschland insgesamt ca. 4760 Personen inhaftiert. Im September 1939 waren es nach den Entlassungen jüdischer Häftlinge, die bei den Novemberpogromen festgenommen worden waren, 21.000 Gefangene. Nach Kriegsbeginn stieg die Zahl der KZ-Häftlinge durch die Verhaftungen in den besetzten Ländern stark an: von 110.000 Häftlingen im September 1942 über 224.000 im selben Monat des folgenden Jahres bis hin zu über 700.000 Häftlingen Anfang 1945. Mit den Jahren und der steigenden Zahl an Häftlingen sowie durch den Arbeitseinsatz der Häftlinge in der Kriegswirtschaft wurden auch die Dokumente immer spezialisierter und vielfältiger. Die Menschen wurden in immer mehr Bereichen erfasst.

Eine ausführliche Übersicht über die Geschichte der einzelnen Konzentrationslager samt Außenlager und -kommandos wurde vom United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) erstellt. Die ersten beiden Bände der Encyclopedia of Camps and Ghettos 1933–1945 stehen in der englischen Fassung zum kostenlosen Download bereit.

 

Bis Anfang der 1940er Jahre – und in Ausnahmefällen auch darüber hinaus – wurden die KZ-Formulare zumeist in Druckereien der umliegenden Städte gedruckt. Es gab zudem mehrere sogenannte SS-Vordruckverlage, von denen die Lagerkommandanten Formulare beziehen konnten. In einigen Lagern, wie zum Beispiel in Buchenwald, gab es sogar Lagerdruckereien und Buchbindereien, die eigene Dokumente herstellten. Die Lagerkommandanten hatten dabei lange freie Hand und konnten auch eigene Formulare entwerfen und drucken lassen. Spätestens mit der Überführung der Inspektion der Konzentrationslager in das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) ab Februar 1942 wurden die Formulare schließlich immer einheitlicher. Zu einer absoluten Gleichheit aller Dokumente in allen KZ kam es jedoch nie.

Die Amtsgruppe D, die beim WVHA für die Verwaltung der Konzentrationslager verantwortlich war, ordnete an, dass ab 1942 sämtliche Formulare zentral beim WVHA bestellt werden müssten. Waren die angefragten Karten bewilligt, gingen Sammelbestellungen an die Lagerdruckerei Auschwitz. Ab dem 1. April 1943 durften KZ-Formulare offiziell nur noch dort gedruckt werden. Es hatte aber auch schon vorher Druckaufträge aus anderen KZ gegeben, die in Auschwitz ausgeführt wurden. Bis zu 60 Häftlinge arbeiteten ab Mitte 1943 im Kommando Lagerdruckerei an Maschinen, die in den besetzten Ländern, vor allem in Polen, beschlagnahmt worden waren. Die Dokumente aus dieser Zeit erkennt man an der Angabe der Mustervorlage. Diese findet sich in der linken unteren Ecke und war folgendermaßen aufgebaut: KL gefolgt von einer Zahl, die den Formulartyp angab, sowie der Information zu Monat und Jahr der Drucklegung plus Auflagenhöhe. Das Kürzel KL 5/9.44/200.000 bedeutete beispielsweise, dass die Häftlings-Personal-Karte (KL 5) im September 1944 (9.44) in einer Auflage von 200.000 Stück gedruckt wurde. Frühere Dokumente haben diese Nummer nicht.

Ab dem 1. April 1943 durften die KZ-Dokumente, wie erwähnt, offiziell nur noch in der Druckerei von Auschwitz gedruckt werden. Die bewilligten Papierkontingente für KZ-Vordrucke wurden daher direkt dorthin geschickt. Allerdings beschwerte sich das WVHA im Februar 1944, also fast ein Jahr später, dass immer noch Dokumente in Druckereien vor Ort gedruckt würden. Aus Buchenwald ist auch ein Schreiben vom September 1943 erhalten, in dem 1500 Häftlingskarteikarten – trotz des eigentlichen Verbots – in der lagereigenen Buchbinderei bestellt wurden. Die Formulare mussten dort hergestellt werden, so der Verantwortliche der Effektenkammer, weil die „bestellten Karten […] noch nicht geliefert worden und in den nächsten Tagen […] ca 2000 Zugänge gemeldet“ (1.1.5.0/82083183/ITS Digital Archive, Arolsen Archives) waren. Auch die Tatsache, dass es über die Jahre hinweg verschiedene Fassungen innerhalb eines Lagers gab, erschwert heute die Zuordnung der Dokumente zu einem Dokumententyp.

Die einzelnen Formulare wurden in den letzten Kriegsjahren in hohen Stückzahlen produziert. Die Effektenkammer Buchenwald bestellte noch im Februar 1945 allein 200.000 Formulare, darunter 50.000 Aufnahmebögen. Es gibt zahlreiche Dokumente, die in Auflagen von bis zu 500.000 Stück gedruckt wurden. Dabei waren die Kommandanten ab Juli 1943 angehalten, immer genau so viele Exemplare zu bestellen, wie sie in vier Monaten benötigten. Anhand der Bestellungen nach Kriegsbeginn wird auch deutlich, wie stark die Zahl der Häftlinge im Vergleich zu den frühen Jahren angestiegen war: 1938 umfassten Bestellungen bei Druckereien noch 5000 bis maximal 10.000 Dokumente. Die Bestellungen wurden ab Anfang der 1940er Jahre immer häufiger, und fast immer ging es um große, fünfstellige Mengen. Nur so konnten die zahlreichen neuen Häftlinge und die Transporte zwischen den Lagern organisiert werden.

Je länger der Krieg dauerte, desto schwerer wurde es, genügend Papier zum Drucken von Formularen zur Verfügung zu stellen. Um Papier zu sparen, wurden daher alte und nicht mehr benötigte Dokumente in den KZ weiterbenutzt. Starb ein Häftling oder wurde er oder sie in ein anderes Lager verlegt, wurden vor allem Revierkarten und Geldverwaltungskarten zerschnitten und noch einmal verwendet. Manchmal wurde die nicht mehr benötigte Seite der Karte durchgestrichen und auf deren Rückseite weiterbeschrieben; manchmal wurden direkt noch leere Formulare für andere Zwecke benutzt. Wenn nach dem Krieg eine Karte zum ITS kam, die auf beiden Seiten beschrieben war, wurde in der Regel eine Kopie  erstellt. Die Originalkarte wurde dann in die Unterlagen der einen Person einsortiert, die Kopie in die der anderen.

Die meisten Verwaltungsformulare blieben bei der Überstellung oder Entlassung eines Häftlings in den Konzentrationslagern, in denen sie erstellt worden waren. Die Karten wurden in den Lagern entweder zerstört, aufbewahrt oder für andere Zwecke weiterverwendet. Manche Dokumente konnten allerdings bei einem Wechsel von einem KZ in das andere mitgeschickt werden. Dies ist ein Grund dafür, warum in den Beständen der Arolsen Archives zu einem bestimmten KZ auch Dokumente überliefert sein können, die in einem anderen Lager angelegt worden sind.

Wurden Häftlinge direkt in eines der seit 1942 immer zahlreicher entstehenden Außenlager verlegt, wurden ihre Karten und Personalbögen in der Regel zunächst dorthin geschickt. Nachdem sie dort ausgefüllt worden waren, wurden sie an das Hauptlager zur dortigen Verwaltung zurückgegeben. In den Arolsen Archives sind etwa Schreiben zwischen den KZ Verwaltungen in Groß-Rosen  und Ravensbrück erhalten, die belegen, dass ganze Personalakten der Politischen Abteilung und auch Karteikarten des Arbeitseinsatzes verschickt wurden.

In den Arolsen Archives unterscheidet sich die Menge der vorhandenen Unterlagen aus den verschiedenen Konzentrationslagern erheblich. Wie viele Dokumente aus den einzelnen Lagern zum ITS kamen, hing neben Zerstörungen durch die SS kurz vor Kriegsende auch davon ab, welche Armee die Lager befreite und ob sie die beschlagnahmten Dokumente später an den ITS abgab oder behielt. Informationen zu Häftlingen aus Buchenwald und Dachau sind beispielsweise nahezu vollständig erhalten. Auch die Überlieferung zu den ebenfalls von der US-Armee befreiten Lagern Flossenbürg und Mauthausen ist noch vergleichsweise umfangreich. Zum von den Briten befreiten KZ Neuengamme, wo die SS zuvor fast alle Dokumente zerstört hatte, oder zu den Lagern Auschwitz, Groß-Rosen und Sachsenhausen, von wo die Rote Armee gesicherte Dokumente nach Moskau brachte, sind hingegen nur sehr unvollständige Bestände in den Arolsen Archives erhalten. Oftmals liegen Dokumente aus diesen Lagern nur als Kopie aus anderen Archiven vor.